Missbrauch: Ein Interview mit Blessing Bearer: „DU BÖSER „lieber Gott“! Verschwinde!!!“

Zum Abschluss der Themenreihe über Missbrauch, habe ich ein Interview geführt mit Blessing Bearer, wie er genannt werden möchte. Er hat sich bei mir gemeldet, um uns von seinen Erfahrungen vom Missbrauch und vorallem dem Weg aus diesem Mist zu erzählen.

Vielen Dank an Dich Blessing Bearer für Deinen Mut so offen über Deine Erlebnisse zu sprechen. Ich hoffe einigen Menschen wird es Hoffnung geben und ihnen zeigen, dass es einen Weg gibt und Gott die Wunden des Missbrauch's heilen kann.

 

Welche Art von Missbrauch hast Du erfahren und wie alt warst Du damals?

Ich wurde in meiner frühen Kindheit von meinem Vater emotional missbraucht. Er machte z.B. immer wieder sogenannte "verbale Chlinche", um mich in Rhetorik zu "schulen", und redete mich dabei ständig in den Boden. Er erzog mich nach dem Prinzip Zuckerkrümel und verbale Peitsche und Zynismus.

Es begann als ich circa 3 Jahren alt war und endete erst, als er den Kontakt zu mir abgebrochen hat. Da war ich 20.

Dann waren da auch noch unverhältnismäßige Strafen. Ich musste immer ganz ordentlich essen, und hinterher kam die Platzkontrolle, wenn da irgendwelche Krümel waren, etc., dann gabs wieder die verbale Peitsche. Mit drei Jahren, da hat er mich mal geschnappt und hat mich, für etwa zehn Minuten, in den Freilaufschweinestall direkt zu den Schweinen eingesperrt, weil ich beim Essen gekleckert habe.

Der sexuelle Missbrauch begann im Alter von 10 und endete mit 14 Jahren durch einen Umzug…

 

Das ist heftig… Sicherlich hat Deine Mutter davon gewusst, oder? Oder hast Du jemand anderen davon erzählt?

Meine Mutter war machtlos. Ey, ich war 3 Jahre, als es los ging. Damals in den frühen 70-fern, da war Missbrauch in der Öffentlichkeit und in den Köpfen der Leute noch kein Thema. Es war die Zeit der sexuellen Befreiung und der RAF…
Ich habe mit niemandem darüber geredet, bis ich mit 13 die ersten lebendigen Christen kennengelernt habe. Ich empfand immer nur diese himmelschreiende Ungerechtigkeit meines Vaters. Über den sexuellen Missbrauch wußte meine Mutter nichts.
GOTT, der war bei uns zu Hause immer der "liebe Gott". Meine Mutter laß mir jeden Abend aus der Bibel vor. Ich liebte diese Geschichten. Doch irgendwann, ich muss wohl so 5 Jahre alt gewesen sein, da bekam ich wegen eines nicht aufgeräumten Zimmers mal wieder 2 Tage Zimmerarrest. Da habe ich ganz bewusst gebetet und gesagt: Du böser "lieber Gott"! Verschwinde!!!"


Du sagst Du hast mit 13 Jahren "lebendige Christen" kennen gelernt. Was bedeutet "lebendig" für Dich und wie hast Du diese Erfahrung erlebt?

Also, das war in einer evang. Kirche. Ich hatte das Glück, Konfirmantenunterricht durch eine gläubigen Pfarrer zu erhalten. Gläubig heißt, dass er Jesus liebte. Manche mögen vielleicht heute die Nase rümpfen.
Er tat es auf eine "evangelische" Art und Weise. Er war ruhig und besonnen, sehr freundlich und liebevoll. Wir wurden auch durch einen gläubigen Diakon betreut. An einem Abend erzählten der Pfarrer und der Diakon von ihrem Glauben an Jesus und luden uns Konfirmanden zum Jugendkreis ein.

Weißt du, anfangs hat mich nur ihre freundliche Art angesprochen, und ich bin da hin, weil ich Freunde haben wollte, geliebt sein wollte, weil ich einfach irgendwo mal dazu gehören wollte.

Mit Gott hatte ich ja schon seit meinem 5. Lebensjahr nichts mehr am Hut. Jedenfalls "betete" ich mit den Anderen, nicht weil ich betete, sondern weil ich um jeden Preis dazugehören wollte. Ich diskutierte, ich sang, ich beteiligte mich. Alle dachten, was für ein toller Christ ich doch bin.

Doch ich bekam immer mehr Probleme.

Ich war in einer Gang, wir waren hauptsächlich auf Sachbeschädigungen und Ladendiebstahl und Prügeleien aus…

Da fällt mir noch eine Sache zu den Christen damals ein: Das war alles ganz anders. Es war eine Art Erweckung da. Aber nicht so, wie heute. Es war auch die Zeit der Teestuben und Jugendgottesdienst im großen Stil. Es gab bei uns einen sogenannten JUBEGO. Ein Jugendbegegnungsgottesdienst, da waren 11 x im Jahr Christen aus einem kirchlichen Einzugsgebiet von über 100 km. Es waren immer ungefähr 200-500 junge Leute…

Lobpreis, das spielte damals noch nicht so eine Rolle. Es waren beziehungsorientierte Christen und weniger "eventorientierte" Christen.

BEZIEHUNG!!! Das war es, was wichtig war. Dadurch wurde es auch möglich, dass eine Diakone/Jugendkreisleiterin durch liebevolle Nachfrage meinen Eispanzer durchbrach und mich durchschaute, genau an dem Abend, an dem ich mich heimlich umbringen wollte…

 

Ich fühle mit Dir Blessing Bearer… unglaublich. Das war dann sozusagen, die "Rettung in letzter Sekunde" – was veränderte sich ab diesem Zeitpunkt?

Die Frau brachte mich zu einer junge Familie aus der Kirchengemeinde, wo ich nach der Schule zum Mittagessen hin durfte. Meine Mutter arbeitete ja den ganzen Tag. Mein Vater war mal wieder mit irgendeiner Freundin durchgebrannt…

Ich erlebte zum ersten Mal, dass Familie auch was Positives sein kann. Die Beiden wurden mir zwar nicht zu "Eltern", aber zu sehr liebevollen Vorbildern. Mit ihr machte ich, seit 4 Jahren,  zum ersten Mal Hausaufgaben.

Dank ihrer Hilfe hatte ich zum ersten Mal in der Schule in einem Referat über Bakterien und Viren eine 1! 

Ich ging mehrmals wöchentlich zu der Diakone, zu seelsorgerlichen Gesprächen.
Es ging um Vertrauen, Gottes Vaterherz, um Traumatherapie, Rollenspiele und vor allem viel Gebet und Fürbitte. Damals bekam ich auch schon meine Berufung von ihm: "Ich will dich segnen, und du sollst ein Segen sein…"

Der Missbrauch wurde erst erst viele Jahre später zum Thema. Ich hatte den Missbrauch verdrängt. Hatte eher so die Haltung:

Das ist mein dunkles Geheimnis, das niemand erfahren darf. ICH bin schuld, ich habe es ja doch gewollt, oder? Neenee, diese "Schuld", die darf niemals ans Licht kommen. Zu groß war die Scham und der Schmerz. Ich verbuchte das Ganze immer als persönliche SÜNDE!

Dann war da ja auch noch immer die Gang und dann noch Pornographie in Form von Heften, die ich meinem Vater klaute und dann unter der Hand teuer verkaufte… Es zog sich über Jahre bis ich Gott glauben und vertrauen konnte. Er hatte Geduld mit mir. Immer wieder nochmal ein Neubeginn…  Immer wieder ganz praktische Christen, die ein Stück Leben mit mir teilten und mich nach Hause liebten….

 

"Nach Hause geliebt!" – Wow das ist eine tolle Aussage! Du sagst Jahre später wurde der Missbrauch zum Thema. Hast Du da eine Therapie gemacht?

Also eine spezielle Therapie habe ich nie gemacht. Gott heilte und heilt mich in vielen kleinen Schritten. Er geht immer nur so weit, wie ich es zulassen will. Das ist wichtig, denn durch den Missbrauch wurden ja beispielsweise alle natürlichen Empfindungen für Nähe und Distanz zertrümmert.

Es kamen immer häufiger Situationen, da holte mich die ganze Scham und Not ein. Anfangs als starke Schuldgefühle. Dann während zweier Ausbildungen als Seelsorger und in einem sozialen Beruf kam die GANZE Erinnerung hoch. Nicht nur in Form von Schuldgefühlen. Nein, es war ganz anders. Mit einem Mal erkannte ich das alles als sexuellen Missbrauch.

Es war eine Mischung aus Angst, Wut, Scham, Schmerz, Hass, Panik, Schock!!!

Ich hatte in der Zeit besonders oft körperliche Schwächeanfälle, Frieranfälle, Würgereize. Es war echt krass. Ich ging im Gebet zu Gott und in verschiedenen seelsorgerlichen Beziehungen durfte ich auch erleben, wie Christen mich in diesem Schmerz nicht allein gelassen haben, bei mir blieben, als ich alles unserem Gott und Vater erzählte. Frieranfälle habe ich manchmal heute noch.

Ich betete oft in Psalmen. Das tat mir gut. Z.B. der Psalm 18. Aus meiner Perspektive gebetet bekamen gerade die Psalmen eine neue Dimension, weil sich die Worte mit meinen realen und traumatischen Erinnerungen verbanden. Wenn ich meinen Hass vor Gott heraus brüllte, da hatte ich ein konkretes Gesicht vor mir. Das des Täters, der auch ein Freund der Familie war oder in anderen Situationen, das meines Vaters.

Erstaunlich, unser himmlischer Vater hält echt was aus.

 

Da sagste was Blessing Bearer! Du hast Dich als Seelsorger ausbilden lassen, warum? Wo Du doch selbst soviel zu tragen hattest?

Es gibt einen alten Song aus meinem ersten Jugendkreis. Wir sangen ihn oft: "Ein jeder trage die Last des anderen, so wie es Jesus für jeden tat…" Weiter heißt es da im Text:

 

"…auch der Schwächste kann tragen, was andere bedrückt, wenn er selbst sich von Gott tragen lässt."

Ich bin nicht wirklich der begabte Seelsorger vor dem Herrn. Trotzdem begegnete ich immer wieder Menschen, die wirklich Hilfe brauchen. Da dachte ich mir einfach, es kann ja nie schaden, ein paar Grundlagen zu kennen, mal sehn, was der Herr daraus macht…
 
 

Ich finde die Wendung die Blessing Bearer' Leben interessant, vorallem das es doch noch Jahre dauerte bis er Gott wirklich kennenlernte und spürte. 

 
Morgen kannst Du dann hier lesen, wie Blessing Bearer's Geschichte weiterging und vorallem ob er seinem Vater und dem Täter, der ihn missbrauchte, vergeben konnte.
 
Bis morgen
Mandy
 

zum Interiew Teil 2

 


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Dieser Beitrag wurde am 9. März 2011 veröffentlicht.

11 Gedanken zu „Missbrauch: Ein Interview mit Blessing Bearer: „DU BÖSER „lieber Gott“! Verschwinde!!!“

  1. Anonymous

    Dem „Respekt“ kann ich mich nur von ganzem Herzen anschließen. Danke, Blessing Bearer, für deine Offenheit!

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  2. Heidi

    gott segne dich,blessing!!!!du bist wenigstens ein seelsorger, der menschen helfen kann und nicht – wie soviele -vom grünen tisch reden!!! mega segen dir!!!

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  3. Pitri:)

    Ich bin auch so jemand , der mitfühlt und ich weine… mit Dir … für Dich … Dankbarkeit fühle ich auch , dass Deine Mom Dich schon auf Gott gelenkt hat .  Dass Gott , der Allmächtige Vater , im endscheidenden Augenblick , Dir diese Diakone , den lebendigen Geist von Jesus Christus , an die Seite stellte .
    Ich danke Dir , dass wir erleben dürfen , wie Dein Weg bereitet wurde .
    und… ich bin gespannt , wie es weiter geht .
     
    I.L.Pitri:) 

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  4. Alice Bruchhaus

    hallo Blessing  Baerer
    ich freue mich für Dich , das Gott Dir den Mut gegeben hat Dich uns mitzuteilen….
    das war sicher ein großer Schritt für Dich das zu tun, ich bin Gott sehr d a n k b a r, das ich Dich kennenlernen darf
    , weil Du ein sehr kostbares Gefäß Gottes bist was ER noch  ganz viiiiiiiiiel gebrauchen wird …. Du bist jemand der solche Menschen erreicht halleluja die dann auch die Chance haben heil und frei zu werden :-)  in Liebe verbunden Deine Schwester Alice <3

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  5. Claudia Schnoor

    Danke für deine Offenheit und das du mich auf die DÍgnis Klinik aufmerksam gemacht hast:warst du selbst dort und hast in deiner Mißbrauchs- und dadurch Lebensfähigkeitsproblematik Hilfe erfahren?Bin auch diesbezüglich geschädigt und bin noch ziemlich drin im Alltäglichen, finde mich in etlichen Folgeerscheinungen wie Frieren,Zittern ohne äußeren Grund usw…. wieder.Ganz liebe Grüße von Claudia Schnoor

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