
Bestimmt kennst du das auch: Du läufst im Winter durch die Fußgängerzone. Es ist kalt und ungemütlich, die Nase tropft.
Ich mag den Winter nicht. Der Schnee und die Tage, wo es um 15 Uhr schon dunkel wird, sind furchtbar. Ich stehe eher auf 30 Grad und Sonnenschein.
Doch wie muss es den Menschen erst gehen, die am Straßenrand sitzen und um etwas Geld oder zu Essen betteln? Wie fühlen sie sich in dieser kalten Jahreszeit?
Ich bin Christ und gerade als Christ sollte ich doch helfen
und bittende Hände nicht ablehnen – oder?!?
Gerade in der Winter- und Weihnachtszeit fällt es mir besonders schwer, an Menschen vorbeizugehen, ohne ihnen zu helfen.
Ich habe schließlich selbst drei Jahre auf der Straße gelebt.
Und es war manchmal so kalt, dass meine Freunde und ich uns buchstäblich den Hintern abgefroren haben.
Wenn man schläft, erfriert man schneller – deshalb musste nachts einer von uns Wache halten, während die anderen schlie- fen. Der Wecker klingelte stündlich, alle wurden geweckt, um auf die Toilette zu gehen oder rumzulaufen, einfach den Kreislauf in Schwung zu bringen und warm zu werden. Wir hatten tierische Angst zu erfrieren.
Am Schlimmsten war es, wenn die Kälte bis in die Knochen vorgedrungen war und man sich wie gelähmt fühlte. In Dresden oder Berlin wird es nachts auch mal minus 10 Grad und kälter. Teuflisch, wenn man dann noch Alkohol oder Drogen intus hat.
Wie dem auch sei, ist es denn richtig, einfach vorbei zu gehen?
Ich habe mich mit diesem Thema beschäftigt und Gott gefragt, was er dazu meint. Ich sagte: »Hey Daddy, in der City hocken so viele Obdachlose, soll ich jedem etwas geben? Oder soll ich ihren Blicken ausweichen und einfach dran vorbei laufen?«
Und ich habe den Eindruck, dass Gott mir gesagt hat, dass ich Grenzen habe. Ich bin nicht Gott und kann nicht die Bedürfnisse aller Menschen stillen.
Aber Jesus war ja auch ein Mensch.Wie hat der das denn gemacht? Er heilte nicht alle Kranken und erweckte auch nicht alle Toten zum Leben (was das wohl gegeben hätte …). Er gab auch nicht immer allen Obdachlosen zu essen. Wie also könnten wir das schaffen?
Helfen, in welcher Form auch immer, ist wie jemandem Geld zu geben. Du kannst nur soviel geben, wie du hast, und solltest nur so viel abgeben, dass du auch noch über die Runden kommst – es sei denn, Gott sagt oder zeigt dir für ganz bestimmte Situationen etwas anderes. Manchmal musst du auch an dich selbst denken. Du hast Verantwortung für dich! Du kannst dich nicht liebevoll um andere kümmern, wenn du dich nicht selbst liebst, Dir Gutes gönnen und es genießen kannst.
Der Autor Parker Palmer sagt:
»Die Sorge für sich selbst ist nicht egoistisch – es ist lediglich ein verantwortungsvoller Um- gang mit dem einzigen Geschenk, das ich besitze. Ich wurde auf diese Erde gesetzt, um dieses Geschenk an andere weiterzugeben. Immer, wenn wir auf unser wahres Ich hören können und ihm die Pflege angedeihen lassen, die es braucht, dann tun wir das nicht nur für uns selbst, sondern für die vielen anderen, deren Leben wir berühren.«
Ich habe Christen kennen gelernt, bei denen ich den Eindruck habe, dass sie denken, sie müssten anderen immer helfen. Immer! Sie müssten alle Menschen in Not, die irgendwie erreichbar sind, erreichen mit ihrer helfenden Art. Doch schnell sind sie dann verzweifelt, erschöpft, überLASTet und total gestresst.
Ich kann nicht allen helfen – also doch einfach vorbei gehen?
Ich erinnere mich an meine Zeiten im Leben, als ich gebettelt habe. Meistens ist es so, dass Mädchen dabei erfolgreicher sind und mehr Geld oder auch mal was vom Bäcker bekommen. Also stand ich täglich da und bat die Leute um etwas Kleingeld oder um etwas zu essen. Ich versuchte, nett und freundlich zu bleiben, aber das war manchmal sehr schwer. Ständig bekam man dumme Sprüche reingedrückt: »Geh doch arbeiten!«, oder »Wenn Du ‘ne Stunde mitkommst, dann bekommst du mehr als Geld«. Wenn’s ganz derb kam, wurde man dabei noch weggeschubst oder angespuckt.
Es würde schon sehr helfen, wenn du dir als Passant Gedanken machst, wie es denn überhaupt dazu kommt, dass jemand auf d er Straße landet und eben kein geregeltes Leben mit geregelter Arbeit und geregeltem Einkommen führt. Macht er das aus Spaß, Langeweile, ist das sein Hobby?
Ich war gerade mal dreizehn Jahre alt, als ich von daheim abgehauen bin; denn da gab es immer wieder Schläge von meiner alkoholkranken Mutter, mein Vater spielte passiv mit und hatte nicht den Mut, irgendwas dagegen zu tun. Meine Mutter war psychisch krank, hatte Ausraster, bei denen alles durch die Gegend flog und dann wieder schwere Depressionen. In der Schule erlebte ich Lehrer, die alles andere als ehrlich waren. An Gerechtigkeit konnte ich nicht mehr glauben.
Auf der Straße hatte ich Freunde, wir hielten zusammen und gaben uns gegenseitig Halt. Aber weil das Leben hart war und sich jeder schließlich doch selbst der Nächste war, wenn es darauf ankam, konnte es vorkommen, dass einem der beste Freund nachts, wenn man schlief, das letzte Stück Brot klaute. Der Mensch ist einfach von Grund auf egoistisch. Und dieser Mensch und dieser beste Freund war einmal auch ich.
Die meisten Menschen, die ich auf der Straße kennen lernte, hatten ein krasses Leben hinter sich.
Ich erinnere mich an einen älteren Mann, der Alkoholiker war.
Er hatte einmal ein richtig »spießiges« Leben, wie man sich das so vorstellt: einen guten Job, Haus, Schrebergarten, Frau, Kinder, Hund. Und dann starb ganz plötzlich seine Tochter, seine Frau nahm sich das Leben und er verlor jeglichen Lebensmut.
Er begann zu trinken, das Jugendamt nahm ihm das zweite Kind weg und so nahm das alles seinen Lauf. Bis ich ihn irgendwann auf der Straße traf und er mich blöd anmachte, weil ich in seinem »Revier« stehen würde.
Jawohl, die komplette Fußgängerzone ist unterteilt, jeder hat sein Gebiet. Da kann man sich nicht einfach an einen anderen Platz stellen und um Kohle betteln, da gibt’s dann Schläge. Aber glücklicherweise war der ältere Mann dann doch ganz nett und wir teilten uns das Revier. Ab sofort waren wir so was wie »Kollegen« – bis er sich tot soff.
Wahrscheinlich ist es so, dass viele Obdachlose sich vom erbettelten Geld Alkohol und Drogen kaufen, um ihre Situation »erträglicher« zu machen und mittlerweile – damals war das noch nicht so extrem – trifft man in Großstädten oft auf organisierte Bettlerbanden. Menschen, die wirklich arm dran sind, das Geld aber tatsächlich an ihre »Zuhälter« abgeben müssen. Kriminelle Strukturen und ein widerwärtiges Geschäft mit der Armut. Um das nicht zu unterstützen, empfehle ich, statt Geld Essen oder Essensgutscheine zu verschenken.
Und auch, wenn man nicht allen Bedürftigen helfen kann, finde ich es gut, großzügig zu sein. Geben ist seliger als nehmen oder behalten (frei nach Apostelgeschichte 20,35). Dein Herz wird härter werden, wenn du immer nur »Nein« sagst. Nächstenliebe ist ein Gebot, das nicht nur dem Nächsten gut tut, sondern auch dem Gebenden. Geben macht glücklicher als Behalten! Darüber gibt es sogar eine wissenschaftliche Studie.
Das erinnert mich dann an ein Bibelzitat: »Einen fröhlichen Geber hat Gott lieb« (2. Korinther 9,7), und ich denke, ein solcher Geber wird auch von anderen »lieb gehabt«.
Das Leben auf der Strasse ist wirklich hart, zumindest im Winter, wahrscheinlich härter als der Alltag, in dem du steckst. Vielleicht gelingt es dir deshalb, zumindest ein Lächeln zu schenken. Denn es macht einen großen Unterschied, ob du den Blick senkst oder die Straßenseite wechselst, jemanden also bewusst ignorierst und ihm ausweichst, oder ihn kurz ansiehst und ihm zunickst.
Du kannst ihn als Mensch wahrnehmen und ihm einen guten Tag wünschen, freundlich sein, auch ohne Geld zu geben. Denn damit schenkst du dem Bettler Beachtung und Respekt – eine ganz andere Währung, aber kein geringerer Wert als der Euro, um den du gebeten wirst.
Also, du kannst und musst nicht das Leid der Welt alleine beseitigen, dafür kam Jesus auf diese Welt.
Wenn du mit Geld gesegnet wurdest, gib fröhlich einen Teil davon weiter und werde noch fröhlicher. Hast du nichts über, mach dir kein schlechtes Gewissen, sondern sei trotzdem fröhlich und gib ein Lächeln weiter; denn Liebe wird immer größer, wenn man sie verschenkt!
Wenn du etwas ganz besonderes erleben willst, sei es im Advent, sei es zu anderen Jahreszeiten, aber vielleicht besonders im Advent, tu doch mal etwas Verrücktes: Lade einen Bettler auf eine Pizza ein – komm ins Gespräch …
Alles Liebe
Deine Mandy
Dieser Artikel von mir erschien 2012 in dem Buch "Weihnachtswundernacht" Hrsg. Thomas Klappstein im Brendow Verlag. Das ist das rechte Buch, links ist der Nachfolger von diesem Jahr – Geschenktipp!
2012 Weihnachtswundernacht – 24 Erzählungen für die schönste Zeit des Jahres
2013 Weihnachtswundernacht Band 2: 24 Erzählungen für die schönste Zeit des Jahres